Wolfgang Sternstein

Friedens- und Konfliktforscher

Atomkraft - nein danke!

Der lange Weg zum Ausstieg

Brandes und Apsel Verlag, Frankfurt am Main 2013
ISBN 9783955580339
Gebunden, 240 Seiten, 19,90 EUR


Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Es gibt Fehler in diesem Buch, Fehleinschätzungen auch, die Stefan Dietrich die Lektüre doch nicht verleiden können. Denn der Autor Wolfgang Sternstein, ein Urgestein der Antiatomkraftbewegung, punktet laut Dietrich vor allem mit einer Abrechnung mit den militanten Kräften der Bewegung und ungebrochener, zu Differenziertheit fähiger Gegnerschaft. Für den Rezensenten wird so deutlich, wie weit sich die Bewegung von ihren Wurzeln und ihren Grundsätzen entfernt hat. Dass die berühmten Schlachten von Wyhl und Wackersdorf, Gorleben und Asse, Brokdorf und Kalkar in diesem Buch retrospektiv noch einmal geschlagen werden, kann der Rezensent dem Autor nicht wirklich verübeln.

© Perlentaucher Medien GmbH


Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension Besprechung von 06.01.2014

Mit dem Mut zur Wahrheit
Die Anti-Atom-Bewegung

An Großaufmärschen gegen die Kernenergie haben in den siebziger und achtziger Jahren Hunderttausende teilgenommen. Heute erzählen die Großmütter und -väter der Bewegung ihren Enkelkindern davon. Auch dieses Buch liest sich zunächst wie Väterchen Wolfgangs Erzählungen aus großer Zeit. Wyhl, Brokdorf, Gorleben, Kalkar, Asse, Wackersdorf - alle die berühmten Schlachten werden noch einmal geschlagen und aus der Distanz einer eingehenden Manöverkritik unterzogen. Als Aktivist der ersten (Wyhler) Stunde und langjähriges Vorstandsmitglied des Bundesverbands Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) gewährt Wolfgang Sternstein dabei tiefe Einblicke in die konfliktreiche Organisationsgeschichte der Anti-Atom-Bewegung. Was das Buch über Heldensagen anderer Veteranen heraushebt, ist die konsequent gewaltfreie Haltung des Autors, der im Lauf des Kampfs gegen die Nutzung der Kernenergie vom Insider zum Außenseiter wurde. Seine Geschichte gerät zunehmend zu einer Abrechnung mit den militanten Kräften der Bewegung und zuletzt mit jenen Wortführern, die sich bis heute nicht zwischen Militanz und Gewaltlosigkeit entscheiden mögen. Sternsteins Vorwurf: "Der Weg der Gewaltfreiheit [...] hätte schon viel früher zum Ziel geführt, hätten die Mitglieder der Bewegung sich auf ihn verständigen können."

In seiner Gegnerschaft zur Kernenergie lässt sich Sternstein von niemandem übertreffen. Schon gar nicht von jenen linksradikalen Gruppierungen, die immer wieder versucht hätten, den Protest gegen Atomanlagen zu instrumentalisieren. Ihr Ziel sei es gewesen, "aus dem linken Getto auszubrechen und an der Spitze einer Volksbewegung gegen die Atomkraft das kapitalistische System und den Staat anzugreifen". Auch der BBU als Dachverband mit entschieden gewaltloser Strategie habe sich nur mit Mühe der Unterwanderung durch Autonome und K-Gruppen erwehren können. Dessen Ende sei durch den Aufstieg der Grünen besiegelt worden. "Es waren die besten Leute, die zu den Grünen und zur SPD überwechselten", schreibt Sternstein. Den "Versuchungen der Macht" - Geld, Einfluss, Ämter - hätten sie nicht widerstehen können. So sei der Protest der "bodenständigen Bauern und Bürger" zuerst von den Militanten gespalten, dann vom neuen Partei-Establishment geköpft worden.

Sternsteins Leitbilder sind Gandhi und Martin Luther King. In der weitgehend säkularisierten Welt von heute werde kaum noch verstanden, dass die Stärke dieser Volkstribune in ihrer religiösen Verankerung gelegen habe. Für Gewaltfreie in dieser Tradition stehe fest, dass "der politische Gegner", auch "die Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, Träger unveräußerlicher Menschenrechte sind, namentlich des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit". Steine gegen Polizisten, Hakenkrallen auf Oberleitungen, Sabotageakte aus dem Hinterhalt sind mit dieser Haltung unvereinbar. Auch verbale Herabsetzungen ("Bullen", "Schweine") lehnt der Autor ab. Als höchste Stufe der Eskalation sei ziviler Ungehorsam zwar vertretbar, aber nur mit offenem Visier und der Bereitschaft, für die Rechtsfolgen einzustehen. Sternstein selbst hat mehrfach Gefängnisstrafen auf sich genommen.

Dieses Credo macht deutlich, wie weit sich die Bewegung von ihren Wurzeln entfernt hat. Statt Demut vor dem Gesetz trägt das Wendland maßlose Selbstgerechtigkeit zur Schau: "Ihr achtet nicht unser Leben - wir achten nicht Eure Gesetze" ist dort ein beliebter Slogan. Wenn etwa der Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg den Streit zwischen Militanten und Gewaltlosen schlicht für "fruchtlos" erklärt, dann verwischt er die Gegensätze, deren Unvereinbarkeit Sternstein überzeugend herausarbeitet. Aus seiner Sicht hat die Anti-Atom-Bewegung in Deutschland ihren Triumph mit dem Verrat an ihren Grundsätzen erkauft. Kernenergie ist für Sternstein völlig indiskutabel. Das signalisiert er schon auf dem Cover. Wer seinen Standpunkt jedoch nur auf sogenannte kritische Wissenschaftler stützt und andere grundsätzlich für korrumpiert hält, kann sich täuschen. So glaubt Sternstein der Prognose eines einsamen Experten, die von einer 400 Meter mächtigen Tonschicht bedeckte Eisenerzgrube Schacht Konrad werde ebenso "absaufen" wie das Salzbergwerk Asse. Geschichte und Verlauf des Gorleben-Konflikts referiert der Autor weitgehend aus zweiter Hand und einseitiger Sicht; die Örtlichkeiten kennt er anscheinend auch nur von einigen "Waldspaziergängen" gegen den Castor. Sonst könnte er nicht behaupten, der Kreis Lüchow-Dannenberg gehöre "zu den unberührtesten Naturlandschaften der Bundesrepublik". Nicht jeder Autor schafft es, mit einem kapitalen Fehler ins Haus zu fallen: Im ersten Satz wird die Katastrophe von Fukushima auf den 11. März 2012 datiert. Doch den Mut zur unbequemen Wahrheit wird man ihm nicht absprechen können.

STEFAN DIETRICH

Wolfgang Sternstein: "Atomkraft - nein danke!" Der lange Weg zum Ausstieg. Brandes & Apsel Verlag, Frankfurt 2013. 240 S., 19,90 [Euro].

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